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Delhi wählt – und steht still

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Niemand weiß genau, wie viele Inder in Indien leben – und wie viele Menschen in diesen Tagen zur Wahl aufgerufen sind. Überschlägig ist von 815 Millionen die Rede; die größte Demokratie der Welt soll 1,21 Milliarden Einwohner zählen. Wiederum grob geschätzt, denn da der Inder keinen Pass besitzt und der Zensus vor ein paar Jahren nicht ganz sauber ablief, weiß man das nicht. Fest steht indes, dass derzeit die größten demokratischen Wahlen aller Zeiten in Gang sind, für Indien ein logistischer Kraftakt: Mehr als vier Wochen nehmen sich die Inder Zeit für den Urnengang; erst am 16. Mai soll das Ergebnis feststehen.

Bis die Regierung steht, werden weitere Wochen ins Land ziehen. Auf dem Subkontinent kämpfen mehr als 300 Parteien um den Einzug ins Unterhaus des Parlaments, die Lok Sabha. Selbst ein haushoher Sieger wird gezwungen sein, mit bestenfalls fünf bis sechs – im schlimmsten Fall bis zu zehn meist regionalen Parteien eine Koalition zu bilden. Das dürfte ein Weilchen länger dauern als die „Groko“-Kaffeekränzchen in Berlin.

Bislang stimmten nur die Wähler im entlegenen Nordosten Indiens ab. So konnten Sicherheitskräfte die Stimmung testen, denn bei den Wahlgängen war es in der Vergangenheit immer wieder zu Anschlägen gekommen. Abgesehen von drei Toten bei der Entschärfung einer Bombe blieb es aber bislang ruhig. Am heutigen Donnerstag wählt Neu-Delhi, die Hauptstadt mit ihren neun Millionen Einwohnern – was wiederum nicht mehr als eine grobe Schätzung ist. Der Moloch steht still, die Menschen haben frei, nicht einmal zum Einkaufen bewegen sich die Einwohner von Delhi. Viele Straßen rund um Lagerhallen, Behörden oder Sporthallen, in denen gewählt wird, sind abgesperrt. Die Polizei ist überall präsent, um Mobs zu unterbinden. Das kann in Wahltagen schnell gehen. Den Kandidaten Arvind Kejriwal, der mit seiner neu gegründeten Anti-Korruptions-Partei von sich reden macht, attackierten Gegner dreimal in einer Woche – mit Fausthieben und Farbbeuteln.

Natürlich laufen Wahlen in Indien völlig anders ab als in Europa. Wer keinen Pass hat, kann auch keinen vorzeigen. Also markieren die Wahlhelfer des Wählers Finger mit roter Farbe, die sich erst nach Wochen ablöst. Was freilich im feinen Deutschland nicht möglich wäre, wo wir uns schon über die Hartnäckigkeit eines Disko-Stempels mokieren. Im übergroßen Indien ist es die einzige Möglichkeit zu prüfen, ob ein Inder schon gewählt hat. Beim Wahlvorgang selbst helfen Automaten, die in Europa noch umstritten sind. Doch anders als elektronisch lässt sich die Abstimmungsorgie logistisch kaum bewältigen. Die Inder drücken jenes Knöpfchen, das die Symbole ihrer Partei zeigen – für den wahrscheinlichen Fall, dass der Wähler nicht lesen kann. Das speichert dann der Computer. Misstrauische Wähler sollen per ID-Nummer künftig nach dem Wahlgang nachvollziehen können, ob und wie ihre Stimme gespeichert wurde. Das funktioniert aber wie so vieles in Indien nur testweise und temporär.

Betrug wird es dennoch geben. Mehr als zwei Drittel der Inder haben keine Schulbildung, sie sind beeinflussbar für Manipulatoren. Die ziehen durch die Dörfer und drängen das Wahlvolk, für einen bestimmten Kandidaten zu votieren. Was in den meisten Fällen zugunsten von Nahendra Modi geschehen dürfte. Der Spitzenkandidat der Indischen Volkspartei BJP gilt als Mann der Wirtschaft – und hat den Wahlkampf mit seinem schier unbegrenzten Reklame-Etat dominiert. Es scheint fast sicher, dass der Hindu-Nationalist in den meisten Regionen des Landes die Mehrheit holen wird. Er verspricht mit guter Regierungsführung und wirtschaftlicher Prosperität genau das, was die zehn Jahr regierende Kongress-Partei nicht hat einlösen können. Und auch der vielen unheimliche Nationalist Modi muss erst noch beweisen, dass er Wirtschaft im föderalen Maßstab kann.

Neu-Delhi, im April


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